Mehr Racial Profiling durchs Polizeigesetz

Es steht zu befürchten, dass das Polizeigesetz Racial Profiling stark ausweiten wird. Racial Profiling bezeichnet dabei die auf Stereotypen und äußerlichen Merkmalen (wie der Hautfabre) basierendes Agieren von Polizei-, Sicherheits-, Einwanderungs- und Zollbeamten, nach dem eine Person anhand von Kriterien wie „Rasse“, ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder nationaler Herkunft als verdächtig eingeschätzt wird und nicht anhand von konkreten Verdachtsmomenten gegen die Person. Gerade die als §12 a ( §12a PolG – E ) neu eingeführte strategische Fahndung öffnet mehr Möglichkeiten für Diskriminierung.

Auch in den offiziellen Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf wird dies deutlich: Maria Scharlau von Amnesty International geht darauf ausführlich ein, auch Ver.di sieht die große Gefahr eines weiträumigen Racial Profilings, insbesondere da laut Koalitionsvertrag gezielt Nordafrikaner kontrolliert werden sollen. Prof. Gusy geht darauf ein, dass besonders “ausreisepflichtige Ausländer” als potenzielle Gefährder gesehen werden. Laut Scharlau „wird die Polizei mit dieser Vorschrift mittelbar dazu aufgefordert, Menschen zu kontrollieren, die so aussehen, als könnten sie sich illegal in Deutschland aufhalten. Die Kontrollmaßnahmen werden also in der Regel Menschen treffen, die einen Migrationshintergrund haben und nicht „typisch deutsch“ aussehen.“ Dies würde zu einer rassistischen Polizeipraxis führen, schlimmer – dazu ermuntern!

Aber worum geht es genau?

§ 12a des Gesetzesentwurfs führt die Möglichkeit einer „strategischen Fahndung“, also verdachts- und verhaltensunabhängiger Identitätsfeststellungen in vorher bestimmten Gebieten, ein. Diese Maßnahme kann für 28 Tage angeordnet werden, wenn aufgrund „tatsächlicher Anhaltspunkte“ angenommen wird, dass in einem Gebiet bestimmte Straftaten begangen werden.
Wenn die Voraussetzungen weiter vorliegen, kann die Maßnahme immer wieder um 28 Tage verlängert werden. Die Vorschrift sieht Identitätskontrollen zum Zweck der Verhütung erheblicher Straftaten (Nr.1), zur Verhütung gewerbs- oder bandenmäßig begangener grenzüberschreitender Kriminalität (Nr. 2) und zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts (Nr. 3) vor. Voraussetzung sind tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass in diesem Gebiet Straftaten der benannten Art begangen werden sollen. Außerdem muss die Maßnahme zur Verhütung dieser Straftaten zu Nr. 1 erforderlich und verhältnismäßig sein. Die durch § 12a PolG-E eingeräumten Kontrollbefugnisse sind sehr weitgehend. Die Gesetzesbegründung selbst spricht auf S. 33 von einem „beliebig großen Personenkreis“, der kontrolliert werden kann.

Zwei der drei Punkte zur Rechtfertigung dieser weiträumigen Maßnahmen, die Arzt in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf als „sechs Grundrechteingriffe, ohne etwas getan zu haben“ bezeichnet, betreffen ausschließlich nicht-deutsche und nicht-deutsch aussehende Menschen. Die zu Nr. 1 bestehende Verhältnismäßigkeits-Klausel ist in beiden Punkten explizit ausgenommen.
Dann darf die Polizei Kontrollen und Folgemaßnahmen bis hin zu Durchsuchungen durchführen, im Zweifel sogar einen Gewahrsam zur Identitätsidentifizierung bis zu 7 Tagen.
“Voraussetzung” dazu sind “tatsächliche Anhaltspunkte”, also deutlich weniger als ein konkreter Verdacht. Für den dritten Punkt reicht es in der polizeilichen Praxis dann vollkommen aus, eine nicht-weiße Hautfarbe zu haben.
Darüber hinaus werden die gleichen Maßstäbe zum Verdacht auf „unerlaubten Aufenthalt“ und „bandenmäßiger grenzüberschreitende Kriminalität“ angelegt, was nicht zu rechtfertigen ist.

Verdachtsunabhängige Kontrollen an sich bergen immer das Risiko, dass rechtswidrig nach diskriminierenden Kriterien kontrolliert wird. Diese Punkte stiften die Polizei dazu an.
Dies kann zu verheerenden Kettenreaktionen führen:

1. Ortsabhängigkeit: Gerade (abgelehnte) Asylbewerber*innen müssen in Ersteinrichtungen wohnen! Diese Kontrollen werden sich automatisch gegen solche Einrichtungen und damit einzig und alleine gegen Geflüchtete richten! Es droht damit die permanente Polizeipräsenz, Befugnisse der Gefahrenabwehr mit solchen der Strafverfolgung werden vermengt, Maßnahmen zur Bekämpfung schwerster Verbrechen mit völlig harmlosen aufenthaltsrechtlichen Vergehen vermischt. So geraten schnell ganze Wohneinrichtungen in Generalverdacht und sind noch stärkerer polizeilicher Repression und Großrazzien ausgesetzt (vgl. Oerlinghausen mit 2-3 polizeliche Zimmerdurchsuchungen täglich, oder die Ereignisse in Ellwangen zur überharten Vollstreckung rein aufenthaltsrechtlicher Maßnahmen)

2. Ausreisepflichtige: Die “Ausreispflichtigen” wird §12a noch vielfach härter treffen, denn ihnen drohen neben einer längeren Ingewahrsamnahme – als “Gefährder” – dann in aller Regel Abschiebehaft, bis zu 18 Monate.
Gesetzlich als Ultima Ratio gedacht, wird sie in der Praxis häufig schon dann ausgesprochen, wenn die Polizei einen auffällig werdenden Ausreisepflichtigen kontrolliert. In NRW (Büren) ist dort dann Isolierhaft möglich, bis hin zum Kontaktentzug nach außen.
Hinzu kommt, dass die Identitätsfeststellung durch Pässe zumeist sehr lange dauert – häufig brauchen Botschaften Monate bis zu wenigen Jahre, um Pässe auszustellen. Viele Geflüchtete haben aber unverschuldet ihre Pässe verloren, insbesondere Opfer von Menschenhandel.
Nach der bestehenden Rechtspraxis muss befürchtet werden, dass diese reihenweise lange Zeit in Abschiebehaft zubringen müssen.
Kurz zu den Zuständen in Abschiebehaft: Ein Suizidgefährdeter, der statt richtigerweise in ein Krankenhaus zu kommen, in Abschiebehaft Büren gesteckt wurde, und dort Lebendkontrolle in Isolationshaft zubrachte, hat sich Anfang Juni ebenda erhängt.
Bereits jetzt werden die Stigmatisierung als „Gefährder“ oder eine „drohende Gefahr“ als Begründung der Abschiebehaft herangezogen. Das wird mit den neuen Möglichkeiten zur Kontrolle sicher noch häufiger der Fall sein.

3. Diskriminierung von muslimischen Menschen:
Ziel ist auch besonders Bekämpfung „islamistischen Terrors“ – d.h., es werden Repressionsmaßnahmen gegen Muslime verstärkt angewendet.

4. Die öffentliche Wirkung von diskriminierenden Polizeikontrollen: Sie führt zu unangenehmen Situationen für die Betroffenen bis hin zu extremen Belastungen, und führt aber auch zur Verfestigung von Stereotypen und Vorurteilen innerhalb der Gesellschaft. Sie bewirken, dass sich ganze Gemeinschaften ausgegrenzt fühlen und ihr Vertrauen in die Polizei als Ansprechpartner verlieren. Dieser Vertrauensverlust bedeutet auch, dass der Polizei eine wichtige Informationsquelle für Hinweise auf Straftaten etc. verlorengeht.
Dies ist besonders für Frauen schlimm, da zum einen Frauen mit Migrationshintergrund übermäßig stark von sexueller Gewalt in Deutschland betroffen sind, und vor allem Opfer von Menschenhandel oder Sexsklaverei, die de facto nie gültige Papiere besitzen.
Verdi weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass laut Koalitionsvertrag besonders nach “Intensivtätern aus Nordafrika” geprüft werden solle. In diesem Kontext heißt es, dass diese Menschen vermehrt durchsucht und kontrolliert werden, ohne dass sie irgendetwas gemacht haben müssen! Und das Schlimme ist: Das ist so gewollt!

5. Weitere Diskriminierung durch Kriminalitäts-Aufdeckung:
Wenn bestimmte Personengruppen überproportional kontrolliert werden, werden auch immer überproportional viele Treffer aus dieser Gruppe erzeugt werden. Bei der Fahndung nach „illegalem Aufenthalt“ wird das automatisch der Fall sein. Dazu kommt, dass Geflüchtete – vor allem durch Asylbewerberleistungsgesetze, besonders durch das geplante Entbinden von Bargeld (nur noch “Sachleistungen” – in den Anker-Zentren) stark von Armut betroffen sein werden, und entsprechend vermehrt Armutskriminalität begehen werden. Ihnen kann in der Konsequenz permanent die Polizei auf den Leib rücken. Das wird zu einer rassistischen Polizeipraxis führen. Es wird behauptet werden: Da kommt mehr Kriminalität vor, da müssen wir mehr kontrollieren – in einer sich immer wieder selbst verstärkenden, diskriminierenden Weise.

6. Die Kontrollen werden dann “zur Ergreifung illegal Eingereister” oder “Ergreifung vollziehbar Ausreisepflichtiger” führen die dann als Ermittlungserfolge in den Polizeibüchern verbucht werden.
Mit Bekämpfung von Straftaten oder gar Terrorismus – hat das alles nichts zu tun.
Zuletzt betrifft die “Drohende Gefahr der Durchführung einer schweren Straftat – der Schleusung von Ausländern” dann zunehmend Menschen, die Solidarität mit Geflüchteten zeigen. Anfang Mai wurde ein Rettungsschwimmer in Europa vor Gericht gestellt, der Menschen vor dem Ertrinken vor der griechischen Küste rettete – wegen ‚Schleusung‘. Unter dem Vorzeichen könnte Solidarität als “Gefährderpotenzial” ausgelegt werden, und konkrete Nächstenhilfe schnell zu behördlicher Verfolgung und konkreter Repression führen.

7. Die Gesetzesbegründung wiederholt auf S. 33 die verbreitete Fehlannahme, dass Identitätskontrollen nur sehr geringfügig in die Rechte der Betroffenen eingreifen.
Tatsächlich können diskriminierende Personenkontrollen eine erhebliche Belastung darstellen. Tatsächlich bedeutet eine Kontrolle durch die Polizei in der Öffentlichkeit für den oder die Einzelne_n eine sehr unangenehme Situation – und extreme Belastung darstellen kann.
Im Übrigen sieht der Gesetzentwurf zur Durchsetzung einer Identitätskontrolle Ingewahrsamname bis zu 7 Tage vor – und es droht dann Abschiebehaft, die bis zu 18 Monate ausgedehnt werden kann. Ohne eine Straftat begangen oder die geringste Gefährdung dargestellt zu haben.

Die Polizei hat die Aufgabe, Menschen vor Diskriminierung und Rassismus zu schützen. Dieser Aufgabe handelt sie zuwider, wenn sie selbst diskriminierende Kontrollen durchführt.
Menschen werden grundlos wie Täter_innen behandelt und öffentlich ausgegrenzt. Zur Rechtswidrigkeit dieser Kontrollen nimmt Scharlau Stellung:

„Racial Profiling stellt einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot dar.
Dieses Menschenrecht ist in Art. 2 und 26 des UN–Zivilpaktes, in Art. 14 EMRK und in Art. 3 Abs. 3 GG geregelt. Danach ist eine Ungleichbehandlung aufgrund der vermeintlichen Herkunft oder des Aussehens ohne objektiven Grund untersagt. Als objektiver Grund, der eine Ungleichbehandlung rechtfertigen kann, kommt lediglich eine spezifische Fahndung nach einer bestimmten Person dieses Aussehens in Frage, gegenüber der ein konkreter Verdacht vorliegt (z.B. wenn die Überwachungskamera in einer Bank eine Frau mit asiatischen Zuschreibungen beim Banküberfall filmt, dürfte dieses Merkmal Teil der Fahndungsbeschreibung sein). Fehlt es an einem konkreten Verdachtsmoment, sind polizeiliche Maßnahmen auf Grundlage äußerer Zuschreibungen menschenrechtswidrig. Das polizeiliche Auswahlermessen wird dann fehlerhaft genutzt.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass neben dem Aussehen noch weitere Kriterien für die Kontrolle genannt werden – wenn äußere Merkmale (mit) ursächlich sind, handelt es sich um Racial Profiling.
Erst vor kurzem hat der Verwaltungsgerichthof Baden-Württemberg in seiner Entscheidung vom 21.02.2018 verdachtsunabhängige Polizeikontrollen im Wege der Schleierfahndung für europarechtswidrig befunden.“

Gerade weil die Polizei auch jetzt schon diskriminierend kontrolliert, dürfen solche Kontrollen durch neue Gesetze nicht auch noch begünstigt werden.
Die Diskriminierung muss bekämpft, nicht ausgebaut werden!